Außerordentlich, mäßig, durchschnittlich, sonnig ... Was einen Jahrgang auszeichnet
Der Jahrgang ist mit Sicherheit eines der meist beachteten Elemente auf dem Etikett einer Weinflasche. Denn ein jeder hat seinen eigenen, mehr oder weniger schmeichelhaften Ruf ... Schauen wir einmal näher hin.
Er steht auf den meisten Weinetiketten, vorausgesetzt, der Wein hat eine Herkunftsbezeichnung. Um jeglichen Missverständnissen von vorn herein vorzubeugen: Der Jahrgang bezieht sich auf das Jahr der Lese, nicht auf das Abfüllungsjahr, auch wenn beide ausnahmsweise identisch sein können, nämlich bei den sogenannten Frühweinen wie Beaujolais Nouveau. Sein Fehlen auf einem Etikett kann verschiedene Gründe haben: ein Verbot der Angabe wie bei Land- und Tafelweinen oder eine Besonderheit bei der Herstellung selbst, wie dies bei den meisten Champagner-Sorten der Fall ist, denen eine Assemblage mehrerer Jahrgänge zugrunde liegt.
Was dahinter steckt
In der Winzerbranche stellt sich fast das ganze Jahr hindurch ein und dieselbe Frage: Wie wird der Jahrgang? So wird je nach Wetterlage bis zur Lese und selbst darüber hinaus eifrig prognostiziert. Der Traum eines jeden Winzers? Eine üppige, hochwertige Ernte. Sein Albtraum? Geringe Erträge und Trauben mit wenig Ausdruckspotenzial. Die Realität liegt meist irgendwo dazwischen. Es gibt sowohl ertragreiche, aber qualitativ minderwertige Jahrgänge als auch das Gegenteil. Dementsprechend komplex präsentiert sich auch das Vokabular, das meist der meteorologischen Ausdrucksweise entlehnt ist: Man spricht von „sonnigen“ oder „sonnenverwöhnten“ und „frischen“ bzw. „regnerischen“ Jahrgängen. Und immer stellen sich Weinliebhaber die eine Frage: Wie gut kann man den Jahrgang lagern? Sogenannte Lagerweine sind immer herausragende Jahrgänge, die innerhalb von fünf, zehn, bis hin zu über zwanzig Jahren ihr gesamtes Reifepotenzial entfalten. So gehören 1947, 1961, 1989 und 2010 zu den grandiosen Jahrgängen der Weingeschichte …
Die Jahrgangstabelle – ein unverzichtbarer Helfer!
Es hat sich also als sinnvoll erwiesen, die Jahrgänge aufzulisten. Die seit 700 Jahren bestehende französische Gesellschaft der vereidigten Weinmakler (Compagnie des courtiers jurés-experts piqueurs de vins) hat sich sogar darauf spezialisiert. Die erste Jahrgangsnotierung erfolgte 1914. Doch erst 1940 gab sie erstmals ihre legendäre Jahrgangstabelle heraus, übrigens auf Gesuch des Touring Club de France, der seinen Mitgliedern ein Hilfsmittel zur Verfügung stellen wollte, um sich besser auf den Weinkarten der Restaurants zurechtzufinden. Seither tagt alljährlich eine Kommission von Weinmaklern, um den jeweils aktuellen Jahrgang sowie die Entwicklung der vorangegangenen zu beurteilen. Die Bewertung anhand eines Sterne- und Punktesystems erscheint auf einem dreiteiligen Dokument, das rund zwanzig Jahrgänge pro Weinbauregion auflistet. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass ein Jahrgang nicht in allen Regionen nennenswert ausfällt. Man behalte jedoch im Auge, dass es sich hier lediglich um Trends handelt, die noch lange nicht bedeuten, dass alle Weine eines als durchschnittlich bewerteten Jahrgangs auch mittelmäßige Erzeugnisse sind. Was letztendlich zählt, ist die vom Winzer bzw. der Winzerin auf dem jeweiligen Weingut erbrachte Arbeit. Nicht von ungefähr werden heikle Jahrgänge daher gern als „Winzerjahrgang“ bezeichnet. Will heißen: Erst widrige Umstände enthüllen das wahre Talent eines Winzers.
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