Atemberaubend – Was die zwei bekanntesten Senfklassiker Frankreichs so unwiderstehlich macht…

Von Stevan Paul

Hui, ist das scharf! Geräuschvolles einatmen im Moment der Erkenntnis, die Nase wird frei, der Kopf klar und dann folgt unmittelbar diese wunderbare Geschmacksexplosion:  Dijon-Senf schmeckt unvergleichlich feinwürzig, die Schärfe ist pointiert, sie kitzelt die Geschmacksnerven ebenso angenehm wie die elegante Säure.

Moutarde étonnante

In diesem Artikel

Dijon-Senf ist ein rundes komplexes Vergnügen und weltweit behaupten Fans: Mit Moutarde de Dijon schmecke alles besser. Zu beweisen ist das in Ansätzen, ohne Dijon-Senf wären sogar die geräucherten saucisses de Montbéliard oder die gebrühten saucisses de Morteau ein einsames Vergnügen und es würde beim Choucroute-Gelage mit Bauchspeck und Rippchen etwas fehlen. Eingelegte Eier werden zum Vergnügen, selbst Fisch schwimmt gerne in rahmiger Senfsauce. Göttlich auch die Zusammenführung von Mayonnaise, Dijon-Senf, Kräutern und Gewürzen, die als kalte sauce dijonnaise, Knabbergemüse (crudités) begleiten, gekochte Artischocken, grünen Spargel, Steaks vom Aubrac-Rind, gebratene oder gerillte Garnelen, gedämpfte bretonische Bouchot-Muscheln ... mmh!

Von brennenden Säften und Senf-Pionieren

Senf ist eine französische Kultur-Angelegenheit von langer Tradition, schon 1300 beschäftigten sich die ersten moutardiers in Paris mit der Herstellung des mustum ardens. So nannten die Römer den Senf, die sich als erstes auf die Herstellung von Speisesenf verstanden. In Frankreich entwickelt man sowohl eine besondere Liebe zum  Senf wie auch früh eine Meisterschaft in der Fertigung. Bereits 1650 gab es 600 moutardiers in Paris, die Zahl lässt auch auf eine deutlich gestiegene Nachfrage schließen. Senf war lange das einzige regionale Schärfungsgewürz, das Köchen zur Verfügung stand. Doch es ist nicht Paris, das infolge zur Hauptstadt des Senf-Handwerks aufsteigt, der Titel gebührt bis heute dem burgundischen Städtchen Dijon! Es waren die Herzöge von Burgund, die als erste eine Verordnung zur Senf-Qualität erließen. Darin ist die Rede von einem guten Samenkorn, in kompetenten Essig getunkt. Zur Spezialität wurde das einfache, aber qualitätsbewusste Grundrezept erst durch die Genialität des moutarde-Herstellers Jean Naigeon, der den einst spitzsauren Essig durch den wesentlich runderen und vielschichtigeren Verjus ersetzte, dem Most unvergorener Trauben. Seitdem wurde das Basis-Rezept lediglich verfeinert: Bei der Senfherstellung  werden überwiegend Senfkörner der hellgelben Sorte Sinapis alba und die rotbraunen Brassica juncea getrennt (oder im Mischverhältnis) mit verjus (auch Weißwein oder Brandweinessig) zunächst gereinigt, mit Salz und Wasser über Stunden gequollen und dann mit Gewürzen (wie z.B. Kurkuma für ein sattes Gelb) zu Senf vermahlen.

Industrie vs. Handwerk

Den Unterschied machen die Qualität der eingesetzten Produkte und die Verarbeitungstechniken. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts gerieten die klingenden Namen des französischen Senfhandwerks erst in ein Konkurrenzverhältnis zur und später unter den Druck der Industrie. Die burgundischen Traditionshäuser Maille, Grey Poupon und  Amora gehören heute zu großen Nahrungsmittelkonzernen, sehen sich aber in der Produktion weiterhin ihren Standards und dem traditionellen Geschmack verpflichtet. Die Senfmühle Fallot ist tatsächlich die letzte unabhängige und familiengeführte Moutarderie de Bourgogne. Seit 1994 leitet Marc Désarméniens die Geschicke des Unternehmens, das u. a. viele französische Sterneküchen beliefert, dankenswerter Weise aber auch in Deutschland im gut sortierten Supermarkt erhältlich ist. Bei Fallot in Beaune werden die Senfkörner noch traditionell zwischen Mühlsteinen vermahlen. Das erfordert Erfahrung, denn Reibung erzeugt Wärme und die zerstört ab 20 Grad die hochflüchtigen ätherischen Öle, die den Geschmack und die Schärfe des Senfs prägen. Später erfolgt die Trennung von Schalen und Paste in einer Zentrifuge, dieser Schritt entfällt beim grobkörnigen moutarde à l’ancienne, auch Rotisseur-Senf genannt. Er ist oft milder in der Schärfe. Das bringt uns direkt in die Küche!

Gib mal deinen Senf dazu  Ab in die Küche

Wenn jemand den sprichwörtlichen Senf dazugibt, handelt es sich meisten um einen unhöflichen Menschen, der ungefragt ins Gespräch platzt und schlimmstenfalls „überall seinen Senf dazugeben muss“. Das Sprichwort stammt höchstwahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert, Senf galt als schicke Würze und war regional betrachtet auch das am weitesten verbreitete Schärfemittel. Pfeffer und Chili waren zwar in Europa angekommen, aber noch sehr exotisch und teuer. Die Wirte in den Schenken und Herbergen (das Restaurant als Begriff und im heutigen Sinne wurde in Frankreich erst im Laufe des 18. Jahrhundert bekannt) servierten den angesagten Senf in bester (werbender) Absicht zu allem, auch wenn die mutarde nicht, wie weiter oben behauptet, zu allem schmeckte. Und das schmeckte auch so manchem Gast nicht, der sich verbat, dass der Wirt weiterhin zu allem seinen Senf dazugäbe, mon dieu!

In der Küche tun wir gut daran, unseren Senf dazuzugeben. Er ist auch heute noch ein toller Scharfmacher, vor allem aber würzt er subtil und hintergründig auch Speisen, die zunächst nicht zwingend nach Senf verlangen. Probiere mal eine cremige Kartoffelsuppe oder einen Linseneintopf, rühr ein wenig Senf drunter und dann probiere ein weiteres Mal – erstaunlich, wie der Senf das Gericht geradezu belebt, runder und komplexer macht, ohne selbst in den Vordergrund zu treten. Das funktioniert supergut auch mit Schmorgerichten, dunklen und hellen Saucen, in Dips, kalten Saucen und na klar, der französischen Vinaigrette, die rasch angerührt ist. Du brauchst: 

1 Schalotte, 4 EL Weißweinessig, 1 TL Dijon-Senf, 1 TL flüssiger Honig, 2 EL kräftige Brühe, 3 EL Olivenöl, 2 EL Sonnenblumenöl, Salz, schwarzer Pfeffer aus der Mühle

Schalotte pellen, fein würfeln und mit Weißweinessig, Dijon-Senf, Honig, Brühe und Öl verrühren. Mit Salz und Pfeffer würzen. Fertig! Variiere mit: Rottiseur-Senf, Estragon-Essig, Walnussöl, Schnittlauch, einem Hauch frischem Knoblauch …

Eines der berühmtesten Rezepte sind Eier in Senfsauce. Der beliebte Klassiker der deutschen Küche gelingt besonders gut mit Dijon-Senf bzw. mit etwas vom grobkörnigen moutarde à l’ancienne zusätzlich. Das Rezept habe ich hier für Dich aufgeschrieben.

 

Die Einsatzmöglichkeiten von Senf in der Küche sind schier unendlich, vor allem wenn man beginnt, Senf auch als subtiles Würzwunder zu verstehen. Die Senfmühlen machen es einem dabei auch nicht gerade leicht und sind sehr kreativ. Von den gängigen Varianten wie Estragon-Senf und Honig-Senf bis hin zu Spezialitäten wie fruchtiger Honig mit schwarzen Johannisbeeren (cassis) gibt u.a. es auch Spezialitäten wie den moutarde aux noix mit Walnüssen. Wer gerne mit Senf arbeitet, wird in der Küche schnell beim Entdecken der Möglichkeiten Freude haben. Ich bin selbst bekennender Senf-Fan und habe immer um die 6–8 Senfsorten gleichzeitig offen. Und das ist kein Problem: Dank der antibakteriellen Eigenschaften der Senfkörner selbst, unterstützt von Essig und Salz hält einmal geöffneter Senf im Kühlschrank mindestens 6 Monate. Gerne greife ich auch auf kleinere Abfüllungen zu, spannend sind auch Probiersets mit Mini-Gläsern. Die Vielfalt inspiriert dazu, sich die Welt des Senfs zu erschließen. 

Und wer Lust hat, seinen eigenen Dijon-Senf zu kreieren, der findet ein einfaches Basis-Rezept hier. Selbstgemachter Senf ist auch ein echt außergewöhnliches Geschenk! Man muss allerdings vorausplanen, denn es ist eine letzte und entscheidende Sache, die schmackhaften Senf ebenfalls ausmacht: Guter Senf braucht Zeit! Anfangs schmeckt er spitz scharf und etwas bitter auch, darum sollte er eine Woche im Kühlschrank reifen und durchziehen dürfen. In dieser Zeit verflüchtigt sich die bittere Note, der Senf wird harmonisch rund. Und dann – das behaupten zumindest Fans weltweit – schmeckt mit Senf einfach alles besser. 

 

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