Chartreuse-Liköre: ein Blick hinter die Kulissen
Der berühmte Kräuter- und Gewürzlikör entstand aus einem Lebenselixier, das im 18. Jahrhundert von den Kartäusern hergestellt wurde. Eine erstaunliche Geschichte! Ausgangspunkt wilder Abenteuer. Reportage im Norden von Grenoble, in der neuen Destillerie des Ordens.
Zum Jahresanfang schneit es ausgiebig auf der Chartreuse. Die Destillerie von Aiguenoire versteckt sich unter einem dicken weißen Mantel. Sie verschmilzt mit der Landschaft. Das Gelände gehörte bereits vor 400 Jahren den Kartäusern, seit 2018 steht hier jedoch nur noch die brandneue Destillerie. 2022 soll zudem der Lagerkeller aus Voiron hierher umziehen. Der letzte Akt einer langen Geschichte...
Bewegte Vergangenheit
Ausgangspunkt: Paris. Der Maréchal d’Estrées kam 1605 in die französische Hauptstadt. In seinem Gepäck befand sich die Rezeptur für ein Lebenselixier. Es erregte viel Aufsehen. Die Aufregung war so groß, dass der Abt der Grande Chartreuse in Voiron sich das berühmte Rezept verschaffte. Leider enthält es mehr als 130 Kräuter und Gewürze. Die Herstellung erfordert viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Deshalb wurde der Trank erst 1737 erzeugt. Doch hatte er einen Alkoholgehalt von 71 Volumenprozent! Aus diesem Grund musste eine mildere Variante gefunden werden. 1764 entstand schließlich das Élixir Végétal de la Grande Chartreuse, dem 1840 der grüne und der gelbe Chartreuse-Likör folgten. Am Ziel angekommen? Nicht wirklich ... Die Vertreibung des Ordens im Jahr 1903 und der Erste Weltkrieg führten zum Umzug der Kartause und der Destillerie von Frankreich nach Spanien, bevor sie endlich wieder an den Ausgangspunkt in das Kloster nach Voiron zurückkehren durften.
Geheime Rezepturen
Auch in dieser turbulenten Zeit blieb die Rezeptur ausschließlich in den Händen der Kartäuser. Die Produktion wurde in den 250 Jahren nie unterbrochen. An diesem Vormittag in Aiguenoire werden die Liköre wie gewohnt hergestellt. Die Destillate, Mazerate und Kaltwasseraufgüsse, aus denen die Liköre bestehen, sind fertig. Man bedient sich bei diesen Verfahren der Schwerkraft, um die wertvollen Pflanzenstoffe zu lösen. Drei Wochen zuvor wurden die entsprechenden Mischungen aus den 130 Kräutern und Gewürzen unter der Leitung der beiden Kartäuser hergestellt, die als einzige die berühmten Rezepte kennen: die Ordensbrüder. Nur sie dürfen im richtigen Augenblick in der Destillerie die Zutaten mischen und das Osmosewasser und den Rohrzucker hinzufügen. Danach folgt die Lagerung im Keller, zuerst zu 85 Prozent und dann zu 75 Prozent Luftfeuchtigkeit, in verschieden großen Fässern, nach einem Schema, das natürlich auch geheim ist. Welchen Zweck verfolgt die Lagerung? Die aromatische Komplexität soll sich intensivieren und der Alkoholgehalt abnehmen. Nach der ebenso geheimen Lagerzeit bestätigen die Ordensbrüder die Konformität dieses oder jenes grünen oder gelben Chartreuse-Likörs, stellen fest, dass sie noch länger zu lagern sind, oder bestimmen, dass sie das Zeug zu einer sogenannten außergewöhnlich langen Lagerung (V.E.P. für Vieillissement Exceptionnellement Prolongé) haben, deren Dauer selbstverständlich ... streng geheim ist. Zum Abschluss werden die Liköre grob gefiltert, um ihnen neuen Glanz zu verleihen und es den lebendigen Inhaltsstoffen zu ermöglichen, sich weiterzuentwickeln. In Frankreich, Spanien, Deutschland, Großbritannien, Japan und den USA können Foodies und Bartender einfach nicht genug davon bekommen. Sie sind vor allem von den pflanzlichen Noten begeistert, in einem Soufflé, auf einem Schokoladenkonfekt oder in einem Yellow Cocktail ... Zum Wohl!
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