Ein Freundschaftsband aus Kartoffelpüree

Von Sandy Neumann

„Los, schnell, bring’ die Leiter!“ Pierre klingt mehr nach Befehl als nach Wunsch. „Schnell, schnell, ich brauch’ mehr Platz!“ 

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So flink habe ich Laurence lange nicht gesehen. Sie kommt mit der Treppenleiter um die Ecke und stellt sie vor den Gasherd in der winzigen Küche. Pierre klettert auf die zweite Stufe, wirklich sicher ist die Leiter nicht. Ihre besten Tage sind schon länger her. Ich halte besser ein bisschen fest.

Es blubbert in der großen, roten Cocotte, Pierre rührt mit dem langstieligen Holzlöffel und zieht nun, auf der Leiter stehend, ellenlange, dicke Fäden aus dem Topf mit der Kartoffel-Käse-Masse.

„Halt’ die Leiter gut fest, ich geh’ noch zwei Stufen höher!“ 

Mir stehen die Schweißperlen auf der Stirn, nicht nur, weil ich so nah am Herd stehe. Immer länger werden die Fäden. Einen Meter müssen sie bestimmt messen. 

„Gleich ist es fertig! Mein Arm fällt schon fast ab! Dann ist es gut!“ Er rührt und zieht noch mal ein paar Drehungen. 

Laurence hat in der Zwischenzeit den Tisch gedeckt. Die Saucisse de Toulouse, kräftige Schweinswürste warten im orangeroten Bräter im Ofen.

„Zu Tisch, ich trage auf!“ Jedes Wort ein weiterer Befehl, dem wir uns keinesfalls widersetzen dürfen. Köstlich duftet der Aligot, das Püree, das Pierre stolz auf den Tisch stellt. Wir nehmen uns alle und dann ist ein Konzert aus Ahh’s und Mmh’s zu vernehmen. 

„Pierre ist unser ungekrönter Meister des Aligot. Keiner kann ihn so gut rühren, dass die Fäden so lang werden. Und nur dann ist er wirklich gut.“ Laurence schaut ihn stolz an. 

„Es ist wie eine Wissenschaft.“ Pierre runzelt die Stirn bedeutungsschwer. „Wenn es sich nicht genügend ziehen lässt, dann kann man es zwar essen, aber es stimmt eben nicht.“

Pierre nimmt sich eine weitere Wurst und noch etwas vom Aligot.

„Der Rekord liegt, glaube ich, bei 6,20 Meter. Am Ende standen die Jungs in der obersten Etage auf dem Balkon des Hauses, um das „Freundschaftsband“ zu spinnen. Da muss ich noch etwas üben.“ Er nimmt einen weiteren Löffel Aligot, dann einen Schluck vom kräftigen Rotwein. „Ich verrate euch vielleicht, was man außer einem starken Arm noch braucht…“

Mehr als nur Kartoffel Püree 

Der Aligot ist ein historisches Gericht vom Aubrac-Plateau, eine Mischung aus Kartoffelpüree, Sahne, Knoblauch und Käse, dem Tome fraîche, der aus den Regionen rund um Laguiole, Salers oder Cantal kommen muss. Er hat wenig Eigengeschmack, schmeckt nach frischer Milch und leicht säuerlich. 

Die Fäden, die der Aligot beim Zubereiten zieht werden "Freundschaftsband" genannt.

Die Entstehung des Aligot im 12. Jahrhundert

Die Geschichte besagt, dass der Aligot aus dem Kloster Aubrac stammt. Viele Pilger klopften auf dem Weg nach Santiago de Compostela an die Türen der Mönche, um etwas zu essen zu bekommen. Der Begriff Aligot kommt vom lateinischen „aliquid“, was „etwas“ bedeutet. Als er damals zubereitet wurde, nahm man eine Mischung aus Semmelbrösel und Tome fraîche.

Nach einer schlechten Weizenernte im 18. Jahrhundert wurde die Hauptzutat von Aligot - Semmelbrösel - durch Kartoffeln ersetzt.

Das Gericht fehlt heute auf keinem der traditionellen Feste. Darüber hinaus wird es jedes Jahr mit dem Fest der Transhumanz verbunden, wenn das Vieh von den Winterweiden auf die Sommerweiden getrieben wird.

Tipps für ein gutes Aligot

  • Der Käse muss frisch sein. Nach drei Tagen zieht er nicht mehr gut Fäden. Im Geschäft bekommt man ihn vakuumverpackt. Den Käse mit dem längsten Haltbarkeitsdatum nehmen.
  • Zu hohe Hitze beim Rühren verhindert das „Fäden-Spinnen“ des Aligots. Mittlere bis geringe Hitze sind ausreichend. 
  • Schnell, kräftig und genügend rühren. 
  • Zu langes Rühren lässt den Aligot brechen und es gibt kein Freundschaftsband. Dann muss man es aufessen und von Neuem beginnen.

Creator

Sandy Neumann
Sandy Neumann

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