Provence: La vie en rose auf dem Weingut Barbebelle
Wenn man von ihm spricht, schwingt immer etwas Liebevolles mit, die Sprache des Alltags steht ihm einfach gut. In der Nähe von Aix-en-Provence entfaltet sich im kleinen Dorf Rognes in den Händen von Madeleine der Roséwein zu voller Blüte. Mir geht unweigerlich das Chanson der Piaf durch den Kopf. Eine eingängige Melodie, die sich mir hier, auf einem der ältesten Weingüter der Provence, erschließen wird. Und mich tief beeindrucken wird.
Es gilt, seine Farbe zu beschreiben, ohne die vielfältigen Nuancen auszulassen; seine Leichtigkeit zu preisen, ohne seiner Tiefe Unrecht zu tun; seinen zarten, aber nie faden Charakter zu unterstreichen; seine Gelassenheit zu rühmen, ohne je ausschweifend zu werden. Denn der Rosé der Provence hat so viel zu sagen. Ich bin noch völlig in meine intellektuellen Erwägungen vertieft, als die Stimme meines Navis schnörkellos verkündet: „Sie haben Ihr Ziel erreicht“.
„Barbebelle“: Ein Ort wie aus dem Märchen. Der unweigerlich ins Träumen geraten lässt... Regt schon allein der Name die Fantasie an (Barbebelle bedeutet „Schönbart“), so öffnet der Ort die Pforten zu Wunderwelten. Die Sonne hat ihren Zenit bereits überschritten und die Landschaft scheint aus einer langen Starre zu erwachen. Bäume zeichnen einen geheimnisvollen Pfad, Blätter rascheln und murmeln, Schatten dehnen sich gemächlich, leuchtende Staubpartikel schweben in der Luft. Eine ergreifende Vision setzt meiner Träumerei ein jähes Ende - vor mir ein feierliches, herrschaftliches Bild: Geometrisch aneinander gereihte Weinstöcke, soweit das Auge reicht. Unter dem fast schon unverschämt grünen Weinlaub lassen sich schüchtern die vielversprechenden Trauben erahnen. Angesichts dieser verheißungsvollen Reben drossele ich meine 90 PS quasi bis zur Lautlosigkeit herunter.
Inter/Ein 500 Hektar großes Königreich
Am Ende der zentralen Allee ragen majestätisch zwei Walnussbäume empor. Als ich mich über einen der beiden Brunnen beuge, sehe ich riesige, orange schimmernde Kreaturen. Das Anwesen muss verhext sein (wie ich später erfahre, handelt es sich um Koi-Karpfen). Als ich vor der imposanten, efeuberankten Bastide mit ihren geschlossenen Fensterläden stehe, mache ich mich auf den Auftritt eines verträumten, zaghaften Mädchens gefasst. „Hallo, ich bin Madeleine.“ Als ich mich umdrehe, muss ich feststellen, dass Dornröschen nicht von einem Elfenbeinturm herabgleitet, sondern einem schwarzen SUV entsteigt. Von den Heldinnen meiner Kinderbücher hat sie die blonden Haare, das feine Antlitz und die meerblauen Augen. Madeleines staubige Jeans und die New Balance Sneaker sind indessen von einer Ballrobe weit entfernt. „Ich bin schon seit 5 Uhr zum Abfüllen der Flaschen auf den Beinen“. Barbebelle ist ein Königreich von 300 Hektar, davon werden 50 für den Weinbau genutzt. Madeleine erbte das Anwesen von ihrer zu früh verstorbenen Mutter. Ihr Vater zog sie allein groß, sie wuchs mitten in den Weinbergen auf und erhielt das Privileg, ihre Karriere frei zu wählen. Sie verließ die Region, studierte erfolgreich Betriebswirtschaft und war zunächst eine Zeit lang beruflich in der Pariser Region tätig, um schließlich, wie könnte es anders sein, zurückzukehren.
Inter/ Syrha und Grenache
Ich lausche ihrer Geschichte und klammere mich dabei sowohl ans Heck des Pick-ups als auch an meine anfängliche Märchenvision. Kindheit, Verlust, Aufbruch, Abenteuer, Rückkehr und schließlich die Vermählung mit einem blauäugigen Jüngling namens Valentin: Das ist der Stoff, aus dem die Märchen sind. Bin ich innerlich bereits auf der richtigen Spur, so hält mir die Realität mit Stolpersteinen dagegen, die mich ganz schön durchschütteln. „Kalkböden verleihen einem Terroir eben eine ganz eigene Handschrift“, erklärt Madeleine, die sich von der Rumpelei nicht aus der Ruhe bringen lässt. „Sie kommen genau richtig, um die ersten Beerenansätze zu bewundern.“ Ich genieße die Gunst des Augenblicks. „Von hier hat man den schönsten Blick über die Hänge“, verrät sie mir, als wir endlich anhalten. Ich traue mich nicht, ihr zu sagen, dass ich schon allein bei der Aussicht eine trockene Kehle bekomme.
Auf dem Weg zu den Kellern weiht mich Madeleine anschaulich in die Geheimnisse des Roséweins ein. Es findet keine Maischegärung statt, vielmehr werden die Trauben direkt gekeltert, damit die Schale so wenig wie möglich mit dem Fruchtfleisch in Kontakt kommt. Der Most wird dann zur Klärung 36 Stunden lang stehen gelassen, damit sich Schwebeteilchen am Boden der Bottiche absetzen können. Danach findet die Gärung statt, die rund 10 bis 14 Tage dauert. Anschließend erfolgt das Verschneiden, also die Zusammenstellung der Rebsorten (hier Syrha- und Grenache-Reben), dabei entsteht die Cuvée. Als Madeleine das Weingut übernahm, stellte sie die gesamte Produktion um, um nur eine einzige Cuvée zurückzubehalten, und die trägt ihren Namen. Erdbeeraromen waren gestern, heute stehen Zitrusnoten hoch im Kurs. Vom Flaschenetikett blickt den Weinliebhaber ein blumenbärtiger Hipster wohlwollend an. „Wir haben unser Design im Einklang mit der aktuellen Tendenz aufgefrischt.“ Der New York Times zufolge entspricht Rosé dem Zeitgeist, ist angesagt, in, hipp, „an invitation to relax“. Jenseits des großen Teichs gilt Barbebelle als trendy. Madeleines Hipster hat auch Dänemark, Kanada und Belgien erobert. 60% der Produktion von Barbebelle werden exportiert.
Die Chancen stehen also gut, dass ich in den Genuss einer Kostprobe der verbleibenden 40 % komme. Und dann ist es soweit: Im Lichte der Dämmerung offenbart mir Madeleine ihre Zauberkünste. Ihr orangerosa leuchtender Rosé besitzt einen Hauch von Tiefe, ist leicht und süffig und lädt ein zum Entspannen: Lebensfreude pur, ein Hoch auf die Provence. So schmeckt La vie en rose!
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