„Hier, da können Sie hin!“ Monsieur Bernard tippt mit seinem Finger auf meinen abgegriffenen Fetzen vom Stadtplan von Marseille. Wir stehen dicht gedrängt an den Regalen seiner Maison du Pastis, der kleinen Boutique am Vieux Port von Marseille.

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Er verdreht ein bisschen die Augen mit Blick auf die Gruppe vor mir. „Es ist immer das Gleiche“, murmelt der eigentlich freundliche Besitzer. „Sie kommen mit den Kreuzfahrtschiffen an, gehen ein paar Meter und kaufen dann nur das Zeug in den bunten Flaschen der Big Player, das, was sie sowieso schon kennen.“ Er nimmt ein weiteres kleines Glas und schenkt einen winzigen Probierschluck aus dem Glasballon ein.

„Und für ein Glas zum Apéro“, Monsieur Bernard greift meine Frage wieder auf, „da gehen sie ins Panier Viertel. Er tippt wieder auf den Plan. „Gehen Sie weiter rein“, er fährt mit dem Finger die Straßen ab.

Der intensive Pastis Geschmack breitetet sich im Mund aus. Eine Explosion von Kräutern. Intensiver als alle Pastis, die ich je vorher probiert habe. Nicht nur die bekannten Anis- und Lakritz Aromen springen einen an, eine komplexe Mischung aus den Kräutern der Provence steigt in die Nase und legt sich wie ein samtiges Deckchen über die Zunge. 

„Hm…, der ist wunderbar rund und tief. Ein Lebens-Elixier.“

Monsieur Bernard stellt seinen eigenen Pastis her und lässt dafür fünfzehn verschiedene Kräuter, Aromapflanzen und Gewürze in Dame Jeanne, großen Glasballons, in Alkohol liegen, sodass  Aromen und Geschmack extrahiert werden. Neben Rosmarin, Thymian, Bohnenkraut, Absinth, Minze und Majoran, wandern Ysop, Lorbeer und Melisse in den Extrakt. Den unverwechselbaren Geschmack liefern Sternanis und Lakritz.

Pastis ist das Herzstück eines provenzalischen Apéritif Getränks. Zwei daumenbreit des Getränks in ein Glas, kaltes Wasser dazu, das die bräunliche Flüssigkeit milchig werden lässt und das gute provenzalische Leben auch auf heimischer Terrasse und Balkon heraufbeschwört. Das Singen der Zikaden in den Pinien, das Klacken der Pétanque-Kugeln im Ohr, Sonne und Mistral im Gesicht und den Geschmack des Savoir vivre auf der Zunge.

„Sie wissen, wie Sie einen Pastis bestellen, ohne dass Sie als Touristin erkannt werden?“ Monsieur Bernard füllt bereits mehrere Bügelflaschen. 

„Ich glaube, wenn ich einen flaï, jaune oder pastaga bestelle, dann sieht es ganz gut für mich aus, oder?!“ Ein bisschen stolz bin ich schon, schaue ihm gewinnend ins Gesicht.

„Ganz genau, Madame! Nicht schlecht!“ 

Er packt zu meinen Flaschen noch einige kleine Probiergrößen dazu. 

„Und…“, er schubst mich nochmal leicht an und zwinkert, „keinesfalls Eiswürfel ins Glas, nur Eiswasser.“ 

Bepackt mache ich mich auf den Weg zum Panier-Viertel, auf einen flaï, oder besser zwei. Einer ist nicht genug, sagen die Provenzalen.

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