Petit Amour: Handwerk und Wertschätzung

Von Stevan Paul

Sternekoch Boris Kasprik erfindet in Hamburg die klassische französische Küche neu – und vertraut dabei auf alte Werte 

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In Frankreich war ich immer der strenge, korrekte Deutsche, der carrée. In Deutschland bin ich heute der „produktversessene Franzose“, Boris Kasprik lacht. Wir sitzen in seinem Restaurant, dem „Petit Amour“ am Spritzenplatz in Hamburg-Ottensen. In der winzigen Küche arbeiten konzentriert drei Köche und eine Köchin, es ist viel zu tun, gerade jetzt in Corona-Zeiten. Schon zu Beginn der Pandemie produziert das junge Team Gourmetboxen, freitags und samstags holen nicht nur die Stammkunden die Gerichte wahlweise im Restaurant ab, bekommen dazu noch eine Weinberatung mit Abstand, oder lassen sich das Dreigang-Menü, die Themenbox, den Entenbraten nach Hause kommen: „Im ersten Lockdown bin ich 2.000 Kilometer durch Hamburg gefahren.“, erinnert sich der Chef. Die Boxen sind beliebt und kommen mit einer Gebrauchsanweisung: Nicht länger als zehn Minuten sollen Hobbyköche beschäftigt sein, dann kann serviert werden: Sterneküche aus dem Petit Amour für daheim. 

Kochen: im Prinzip einfach, aber nicht leicht

2016 wurde das Restaurant mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, den das junge Team seitdem hält. Ausgezeichnet wurde Kaspriks Küche auch für etwas, das in Deutschland Seltenheitswert hat: abseits modischer Strömung entwirft er eine zutiefst klassische, dabei unglaublich leichte und moderne Version der französischen Hochküche, die sich gleichzeitig durch eine konzentrierte Süffigkeit auszeichnet. In Deutschland isst Gott wie in Frankreich:

 Nur dadurch, dass ich das Rad eckig mache, fährt es ja nicht besser. Es gibt bewährte Aromen- und Produktkombinationen, an denen müssen wir nicht rütteln. Wir können sie aber verbessern, optisch und technisch und damit auch geschmacklich. Natürlich brate ich heute mein Reh nicht mehr durch, die Sauce entsteht aber immer noch so, wie das auch Alain Ducasse aus den Büchern von Marie-Antoine Carême und bei Alain Chapel gelernt hat.

Eine ganze Ahnenreihe zählt Kasprik hier auf: Der Pariser Carême (1784–1833) gilt als Pioniere der modernen französischen Küche, Alain Chapel (1937–1990) gehört zu den Vätern der Nouvelle Cuisine. Und Alain Ducasse ist einer der größten Köche unserer Zeit, ein Produktfetischist, ein Minimalist, der das Große in der Reduktion auf die Teller bringt. Ducasse hat mal gesagt: „Das beste Produkt und das Wissen um die perfekte Garzeit – das ist Kochen!“ Im Prinzip also einfach, aber eben nicht leicht!  

Nose to tail – ein alter Hut!

Kasprik hat in Frankreich gelernt, eben auch bei Ducasse. Dort hat er früh erfahren, dass große Küche vor allem Arbeit ist, besser gesagt: Handwerk:

 Noch heute stehe ich lieber bis tief in die Nacht in der Küche als meinen Gästen gekauften Blätterteig vorzusetzen.

Kasprik: „Nur Handwerk bringt geschmackliche Tiefe. Und bleib mir weg mit nose to tail, das jetzt überall gefeiert wird! In der französischen Küche ist das immer schon eine Selbstverständlichkeit gewesen. Kein Fitzelchen wird weggeworfen, jeder Knochen, die Gemüseabschnitte und die Parüren werden (Sehnen und Fleischabschnitte) verwendet. Woraus willst du denn sonst eine reiche Sauce kochen?“ Kasprik ist stolz drauf, für seinen berühmten, konzentrierten Jus und die Saucen nichts zukaufen zu müssen. Er erwähnt Jean-Claude Bourgueil, einem weiteren wichtigen Lehrmeister, bei dem er auch die Sparsamkeit lernte.  

Kaspriks Kochkarriere beginnt vor zwanzig Jahren. Er ist 15 Jahre alt, als er im Hamburger Restaurant Jena Paradies ein Praktikum absolviert. Er durchläuft kurze Zeit später die harte Schule von Bourgueil „Im Schiffchen“ in Düsseldorf, der den jungen Deutschen aber zunächst ins „De Karmeliet“ in Brügge (3 Sterne) vermittelt. Kasprik erlernt dort ein Jahr lang die Basis klassisch-französischer Küche bei Meisterkoch Geert Van Hecke. Es ist dann Bourgueil, der dem jungen Kasprik mit seiner japanisch-französischen Küche zeigt, dass dem Denken über Geschmack keine Grenzen gesetzt sind. Der junge Koch arbeitet beim großen Alain Ducasse im „Le Jules Vernes“ in Paris (1 Stern) und fängt wieder bei null an, 120 Gäste am Mittag, 120 Gäste am Abend, nebenbei lernt er Französisch.  

Die Grätenfrage – kochen mit Bocuse

Auch mit Paul Bocuse hat Kasprik damals gekocht. Er zeigt mir ein großformatiges Foto, das gerahmt Backstage des Restaurants hängt: Die Crème de la Crème der jüngeren französischen Küchengeschichte drängt sich für ein Gruppenfoto um Bocuse:  Bernard Pacaud und Marc Haeberlin stehen da beispielsweise, mit Gastgeber Alain Ducasse, an den Treppen zum „Le Jules Vernes“ am Eiffelturm. „Das war am 24. September 2009, bei einem Treffen des Club des Cent erzählt Kasprik, der damals als Chef Poissonier von Ducasse einen Bocuse-Klassiker bereiten durfte: Rotbarbe mit Kartoffelschuppen. Kasprik erinnert sich an einen entspannten Meister Bocuse, der zwar in beständiger Sorge um vergessene Fischgräten mehrfach nachfragte, ob wirklich alle gezogen seien. Gleichzeitig lobte er ebenso ausführlich die Anschaffung neuer Bratpfannen extra zu diesem besonderen Anlass.

Zwei Jahre kocht Kasprik bei Ducasse, zieht dann auf Empfehlung weiter ins berühmte „Nihonryori Ryu Gin“ nach Tokio (3 Sterne). Dort lernt er beim legendären Chef Seiji Yamamoto Schnitt-Techniken und erfährt, dass schon die Führung des Messers das Ergebnis auf dem Teller beeinflussen kann. Er lernt Dashi, Yuzu, Sansho-Pfeffer und Wakame-Algen kennen. Bis heute finden sich Techniken aus dieser Zeit in Kaspriks Küche. Die Wanderjahre enden in Hamburg im „Louis C. Jacob“ (2 Sterne). Kasprik wird Souschef bei Thomas Martin, später selbst Küchenchef in den Hamburger Restaurants „Das Weiße Haus“ und „Chezfou“, bevor er 2015 mit dem „Petit Amour“ in die Selbstständigkeit startet. 

Perfektion, Genusskultur – und Wertschätzung

Die Rotbarbe ist ein Lieblingsprodukt von Kasprik, dessen Küche bei den Erzeugern, also bei den Landwirten, Fischern, Züchtern beginnt. Mittelmaß ist ihm ein Graus, er verwendet nur beste Qualität, und darum kommen die Rotbarben für das „Petit Amour“ aus der Normandie. Die Felsenbarbe ist intensiver im Geschmack und festfleischiger:

 Die französische Küche ist eine Produktküche, das ergibt sich ja alleine schon aus der geografischen Vielfalt des Landes.

Sein Hummer kommt aus der Bretagne, aus Le Conquet, nur unsortiert erhältlich, aber hey: „Diesen Hummer auszupacken, mit dieser Qualität zu arbeiten, das ist wie Weihnachten!“ Kasprik strahlt, während er davon erzählt, welche Freude es für ihn ist, wirklich alles von diesen Hummern zu verwenden, auch das Bein- und Gelenkfleisch oder den Kopf. Die verarbeitet er in Teigtäschchen, die Scheren werden glasiert, eine aromatische Essenz aus den Carcassen, den Schwanz präsentiert er als Tatar.   

Kasprik liebt Artischocken, die er monatelang in Topqualität über Ernten in verschiedenen Regionen quer durch Frankeich beziehen kann. Kasprik dünstet am liebsten die feinen, jungen Poveraden- Artischocken, statt sie zu kochen: „Da lohnt sich dann die Putzarbeit!“  Seine Lämmer kommen von einer Erzeugergemeinschaft aus der berühmten Gemeinde Le Mont-Saint-Michel. Zweimal am Tag werden die Wiesen dort vom Atlantik überschwemmt: „DAS sind Salzwiesenlämmer!“ schwärmt Kasprik. Ich hake nach: woher kommt denn diese ganz allgemein bemerkenswert tiefe Liebe der Franzosen zum guten und zum besseren Produkt?

 In Frankeich pflegt man eine gewachsene Esskultur. Die Menschen geben gerne Geld für gutes Essen aus, das wiederum motiviert die Produzenten.

© HiroshiToyoda

Warum Schweine die besseren Trüffelhunde sind 

Kasprik erzählt von den regionalen Märkten überall, von den vielen Mikro-Produzenten, die sich auf eine Sache spezialisieren und diese zur Perfektion bringen: „Da hast du dann einen Stand, die machen nur Tomaten. Sonnenwarme Tomaten die nie ein Kühlhaus gesehen haben und zum perfekten Zeitpunkt geerntet wurden.“ Es geht um Perfektion, es geht aber eben auch um die Wertschätzung des Konsumenten. Und während anderswo Hunde ganz spielerisch zur Trüffelsuche eingesetzt werden, sucht man im Périgord noch mit Schweinen. Das ist mühsam, die Schweine leben erheblich kürzer als ein ausgebildeter Hund - sie wollen aber nicht nur spielen, die haben selber richtig Lust auf Trüffel, sie suchen und finden darum auch nur die wirklich reifen und aromatischen Knollen: „Die Tiere vom Fund wegzudrängen, ist dann aber durchaus ein bisschen anstrengend.“, Boris Kasprik lacht. 

Petit Amour – eine große kleine Liebe

Der Kurier bringt Käseboxen vom legendären Maître Affineur Antony, Kasprik ist einer der wenigen Restaurateure in Deutschland, der sich immer schon einen teuren und in der Pflege aufwendigen Käsewagen leistet. Jetzt, in der Krise, gibt er die auf den Punkt gereiften Käsespezialitäten der Eleveur de fromages Antony per Box an seine Gäste weiter. Die kommen in normalen Zeiten mittlerweile aus ganz Deutschland nach Hamburg um bei Boris Kasprik zu essen, der mittlerweile auch Bekanntheit als „der Sternefranzose“ und echter Botschafter der französischen Küche genießt: weil kaum jemand sonst im Land, so stringent und klar französische Klassik auf höchstem Niveau kocht. Ein bisschen Carrée ist er immer noch, auch das gehört zum Erfolg, vor allem aber steckt in der „Kleinen Liebe“, dem Petit Amour, eine große Liebe zur französischen Koch- und Genusskultur.  

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