Typisch deutsch, französisch betrachtet - Jean Claude Bourgueil

Ausgezeichnet mit dem Ritterorden der Ehrenlegion für seine Verdienst als kulinarischer Botschafter Frankreichs in Deutschland. Überbringer war kein Geringerer als Paul Bocuse. Zu Recht kann man Jean Claude Bourgueil als einen der ganz Großen der Kochzunft bezeichnen. 1977 übernahm er das Nobel-Restaurant „Im Schiffchen“ im Düsseldorfer Stadtteil Kaiserwerth. 1987 wurde das Restaurant mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet und bestätigte diese Auszeichnung in den kommenden 19 Jahren. 1986 eröffnete er im Parterre des „Schiffchens“ das Restaurant „Aalschokker“, in dem deutsche Küche angeboten wurde. 2012 fand die Umwidmung zum italienischen Restaurant „Enzo im Schiffchen“ statt. Wir treffen uns im historischen Barockhaus, das dieses Restaurant beherbergt.

DE-FEATURE-Bourgueil

Nikolai Wojtko:
„Eckart Witzigmann – einer der fünf Jahrhundertköche – notierte in seiner Zeit im Münchener Restaurant Tantris einen Seufzer: „Die Franzosen kochen nicht besser als wir, sie haben bloß die besseren Gäste?“ Würden sie das auch so sehen?“

Jean Claude Bourgueil:
„Ja klar. Ich kann Ihnen da eine Geschichte erzählen: Vor rund 20 Jahren bin ich zusammen mit meinen geschätzten Kollegen Dieter Müller und Joachim Wissler nach Lyon geflogen. Und wenn man schon in Lyon ist und alle Kollegen mit drei Michelinsternen ausgezeichnet sind, plant man natürlich einen Besuch bei Paul Bocuse ein. Es war ein schönes Erlebnis zur Mittagszeit. Das Restaurant war voll besetzt, es war lebendig, das Essen war ausgezeichnet. Ich war bester Stimmung. Aber auf dem Rückflug bemerkte ich, dass meine deutschen Kollegen sehr still und in sich gekehrt waren. Ich fragte sie also, was denn los sei. Und nach etwas Überlegung sagten sie: Auf dem Parkplatz waren fast nur unscheinbare Autos, aber auf den Tischen sah man ausschließlich die besten Weine. Sie hatten gesehen, dass die Franzosen ihr Geld zum Genießen verwenden und nicht für Statussymbole, wie ein teures Auto. In Deutschland ist das anders. Ich habe etwas gebraucht, um die Unterschiede zu sehen. Denn es gibt hier dieses Wort, das ich lange nicht verstanden habe: den Weißwurstäquator. Deutschland hat eine wunderbare Vielfalt an Wurstwaren, man sollte darauf stolz sein und keine Grenze damit ziehen. Spannend aber ist die Unterscheidung: im eher protestantisch geprägten Norden geht man sparsam mit Lebensmitteln um. Hier dient das Essen eher der Sättigung, während man auf der anderen Seite des Weißwurstäquators mehr Wert auf Genuss legt. Das fängt in Franken an und reicht über alle Weinregionen Süddeutschlands bis nach Bayern, wo man wie in Schwaben und Baden-Württemberg stolz auf seine gute Küche mit zahlreichen traditionellen Gerichten ist.“

NW:
„Was reizt einen französischen Koch daran, nach Deutschland zu kommen?“

JCB:
„Das war keine direkte Entscheidung, aber Deutschland kam mir immer interessant vor. Doch zunächst habe ich unterschiedliche Regionen in Frankreich bereist, da ich mich kulinarisch bilden wollte. Man kann das heute gar nicht genug betonen, wie sehr sich die damalige Zeit von der Heutigen unterscheidet. Mein Vater hat nie eine Bouillabaisse gegessen. Er war ganz erstaunt, als er hörte das man Suppe mit Fisch macht. Das konnte er sich so wenig vorstellen, wie eine Olive zu essen. Gerade in den ländlich geprägten Regionen gab es wenig kulinarischen Austausch. Man kochte einfach mit dem, was man hatte und das perfektionierte man im Laufe der Generationen. Meine Wanderjahre brachten mich nicht nur in unterschiedliche Regionen Frankreichs, sondern 1968 auch nach Madrid. Hier hatte ich nicht nur ersten Kontakt mit der deutschen Küche, ich lernte sofort einige ihrer Feinheiten. Denn im Madrider Restaurant Horcher, in dem ich eingestellt wurde, legte man Wert auf Traditionen. Das Restaurant wurde 1904 von Gustav Horcher in Berlin gegründet. Die Familie Horcher gehörte zu den kaiserlichen Hoflieferanten. 1941 übernahm Otto Horcher das Pariser Maxims, bevor er sich 1943 dazu entschied, mit der gesamten Familie nach Madrid auszuwandern. Als ich dort anfing, wurde hier noch Baumkuchen mit Hilfe einer gasbetriebenen Baumkuchenmaschine hergestellt. Es gab Sauerbraten und hier habe ich meine ersten Spätzle geschabt. Nach zwei Jahren erfuhr ich davon, dass ein Hilton Hotel in Düsseldorf eröffnet werden sollte, also packte ich meine Koffer, um die deutsche Küche in all ihren Facetten kennen zu lernen. Deutschland, als kurze Stippvisite geplant, ist nach nunmehr 51 Jahren zu meiner zweiten Heimat geworden.“

 

Curry und Wurst

NW:
„Haben Sie sich mit dem Lieblingsgericht der Deutschen, der Currywurst, angefreundet?“

JCB:
„Es gibt Dinge, die man zu Recht trennen sollte, gerade in einem Land, das eine so reiche Tradition in Sachen Brot- und Wurstwaren aufzuweisen hat wie Deutschland. Curry gehört nicht zur Wurst. Eine gute Wurst schmeckt aus sich selbst heraus. Ich habe hier einmal eine Currywurstprobe durchgeführt. Es gab ein Dutzend unterschiedliche Würste. Die Würste haben wir zuerst Natur probiert, man konnte die Qualitäten der Würste schmecken. Dann wurden die gleichen Würste mit seiner Sauce überzogen, in der geräucherte Elemente drin waren. Das war eine Katastrophe, da schmecket man schon die Wurst nicht mehr in ihrer Eigenständigkeit. Aber als dann noch Curry zu der Sauce kam, war es aus. Man hatte keine Chance mehr, eine Wurst auf ihre Qualität hin zu schmecken. Geschmacksträger waren lediglich die Sauce, also Ketchup und Curry. Man konnte nicht mehr sagen, ob die Wurst gut war. Aber gerade darum sollte es beim Kochen ja gehen: Um ein gutes Produkt und dessen Geschmack.“

 

NW:
„Kann man den Deutschen denn ihre Liebe zur Currywurst austreiben?“

JCB:
„Das weiß ich nicht, aber man kann auf jeden Fall Wert auf den Eigengeschmack der Lebensmittel legen. Hier sollte man in der Kochlehre ansetzen. Es geht ja nicht nur darum, den jungen Köchen eine internationale Küche beizubringen, sondern vor allen Dingen, sich auf die Traditionen und den Geschmack zu besinnen.“

Geschmack: Fundament des Genusses

NW:
„Wie kann man den Geschmack in den Fokus rücken?“

JCB:
„Das Handwerk als Koch muss ernst genommen werden. Man errichtet kein Gebäude ohne Fundament. Die Basis des Kochhandwerks ist immer der Geschmack. Die große Kunst ist, wie in der Musik oder der Literatur: Weniger ist mehr. Und das ist das Rezept des Kochens: Sie haben ein super Produkt und das wollen sie zur Geltung bringen. Es geht nicht darum mehr Elemente auf dieses Produkt zu geben, sondern es filigran zuzubereiten. Ein Spiegelei in Perfektion kann eine Kunst für sich sein. Das lernt man in Frankreich in der Ausbildung zum Koch. Man lässt frische Butter langsam in der Pfanne zergehen. Dann gibt man Salz dazu, dann erst schlägt man die Eier auf. Nie direkt am Pfannenrand, sonst könnte Eierschale in die Pfanne gelangen. Nun lässt man die Eier in die Pfanne gleiten und gibt ihnen Zeit, bis das Eiweiß gerade glänzt und das Eigelb ist noch flüssig. Was braucht man? Sehr gute, sehr frische Eier, gute Butter, etwas Salz. Ein Genuss. Durch das Internet haben die jungen Köche gelernt, wie Gerichte großartig aussehen, aber was uns alle wirklich begeistert, ist nicht in erster Linie die Optik, sondern der Geschmack.“

NW:
„Bedurfte es eines Franzosen, um zu erkennen, dass auch deutsche Küche auf Sterneniveau zubereitet werden kann?“

JCB:
„In Deutschland hatte man vergessen, sich auf seine typischen Gerichte und deren Geschmack zu besinnen. Das ging in meinem Fall so weit, das ich Ärger mit dem Verlag bekam, als ich sagte, ich wolle ein Buch zur deutschen Küche machen. Sie wollten von mir, dass ich als Franzose ein Buch mit französischen Gerichten vorlegte. Sie erkannten gar nicht das Potential meines Vorschlags, denn dabei kochten wir ja im Aalschocker deutsche Küche und ich wollte den Gerichten auf den Grund gehen. Als der Verlag schließlich akzeptierte, habe ich ein Jahr akribisch an dem Buch gearbeitet. Vielleicht hat mir da der Blick von außen geholfen. Denn die Entwicklung der regionalen Küchen kann man gut verfolgen. Es gibt immer ähnliche Grundprodukte, nur was daraus zubereitet wird unterscheidet sich wesentlich. Nehmen wir den Pfefferpotthast. Viele Köche bereiten dieses Gericht wie ein Gulasch zu, das sie dann mit Paniermehl binden. Allerdings berauben sie auf diese Weise dem Gericht seiner Geschichte. In einem alten Buch stieß ich auf einige wichtige Hinweise. Früher trug man seine Schmorgerichte zum Backofen des Dorfes, so sparte man Brennholz. Man musste für den Potthast also lediglich einen mit Schweineschwarten ausgelegten Tontopf mit den Zutaten befüllen. Wichtig ist bei diesem Gericht die Überlegung, dass man natürlich alle Lebensmittel verwerten wollte. Auf die Schweineschwarten wurde dann das gewürfelte Fleisch, dann die Gemüse und dann eine Lage mit Graubrotscheiben gelegt. Ich verwende gerne noch etwas Knoblauch und Oliven, schließlich möchte ich ja als Koch auch etwas von mir in dieses Gericht geben. Wenn man den Pfefferpotthast in einem Ofen bei geringer Hitze ziehen lässt, lösen sich mit der Zeit die Brotscheiben in der Sauce auf und verleihen ihr eine ungeahnte Sämigkeit und einen wunderbaren Geschmack. Klassische deutsche Küche kann einfach faszinierend sein.“

 

Restaurant:
https://im-schiffchen.de

Buchtipp:
Jean Claude Bourgueil, Thomas Ruhl: Typisch Deutsch. Neues aus der klassischen regionalen Küche. Fackelträger Verlag, Köln 2007

 

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