Das Große im Kleinen finden – der Weinbotschafter Axel Taris
„Wir haben für 30 Jahre Wein und ich habe eine Million Ideen!“ - Der junge Weinhändler Axel Taris begeistert ganz unkonventionell für die Weinkultur seiner Heimat.
Es ist beinahe unmöglich, nicht gute Laune zu bekommen, wenn man Axel Taris begegnet. Der Weinhändler strahlt eine jugendfrische Herzlichkeit und Begeisterung aus, die ansteckend ist. Und dann ist da noch dieser charmante ausgeprägte französische Akzent, den er sich erst gar nicht abtrainiert hat. Er lacht: „Der Akzent bricht sofort das Eis!“
Axel Taris ist im Bordeaux geboren und mit den dortigen Weinen von Weltruhm aufgewachsen, den Weißweinen aus Graves und Pessa-Léognan, den großen Rotweinen des Médoc, den Lagen Saint-Estèphe, Pauillac, Saint Julien, Margaux und den edelsüßen Süßweinwundern aus Sauternes. Es ist also eventuell keine ganz große Überraschung, dass der Jurastudent Taris schon währen des Studiums schnell seinen ersten, vorläufigen Platz in der Weinwelt findet: Er arbeitet in der Anwaltskanzlei Eric Agostini et Associés, wo man sich auf Markenschutz in Weinbau und Handel spezialisiert hat. Zu den Mandanten zählen klingende Name wie Louis Vuitton, die Häuser Moët Hennessy, Veuve Clicquot oder Cheval Blanc. Agostini vertritt auch den renommierten Weinkritiker, Buchautor und Journalisten Robert M. Parker.
Wir waren ständig auf Weingütern und irgendwann habe ich gesagt, ich höre mit dem Studium auf und mache nur Wein, das ist viel lustiger!
Zur selben Zeit, Taris ist 23 Jahre alt, lernt er zu Hause im Bordeaux die Liebe seines Lebens kennen: Anna ist Au Pair aus Elmshorn. Längst ist er mit der Industriekauffrau verheiratet. Der Herzensmensch Taris musste damals nicht lange nachdenken, er erinnert er sich:
Meine Eltern hatten gleich zwei echte Überraschungsmomente: als ich gesagt habe, ich breche mein Jurastudium ab und mache in Wein. Und ich ziehe nach Deutschland.
An diesem Sommertag, an dem unser Gespräch stattfindet, ist es genau zehn Jahre her, dass er den Sprung in ein anderes Land wagte, auf seinem Weg in die Selbstständigkeit. Seinen ersten Job bekommt er beim Hanseatischen Wein- und Sektkontor (HAWESKO). Dort ist er als Verstärkung im vorweihnachtlichen Geschenke-Service beschäftigt und lernt in dieser Zeit vor allem eines: Deutsch. Eine weitere Station ist die He-La Weinhandel GmbH in Hamburg Halstenbek, bevor es der junge Taris 2012 wagt, sich selbstständig zu machen.
Das Maison Taris „Der Franzose“ eröffnet im Hamburger Stadtteil Schnelsen und entpuppt sich als goldener Standort, gerade weil er nicht in der Hamburger Innenstadt liegt oder den gut besuchten Szenevierteln und Shopping-Quartieren mit Laufkundschaft:
Ich habe etwas in der Nähe einer Autobahn und mit Parkplatz gesucht. Die A7 und die A23 sind nicht weit entfernt, der Ort ist perfekt.
Elf Kilometer ist die Weinhandlung zwar von der Innenstadt entfernt, die Stammkundschaft stammt aber aus den angrenzenden Stadteilen Eidelstedt, Niendorf und Lokstedt.
Taris lernt die Hamburger als aufgeschlossene, freundliche Menschen kennen, die Interesse an seinen Weinen haben, dabei aber auch von hanseatischer Zurückhaltung sind. Und genau das kennt und schätzt Axel Taris aus seiner Heimat: „Die Hamburger sind wie die Bordelaiser, wir sind auch bekannt dafür, einen Tick kühler zu sein. Hier ist es flach wie in meiner Heimat, die Stadt ist angenehm ruhig und alles ist sehr nah. Du hast alle Attraktionen einer großen Stadt, aber es ist doch ein bisschen dörflich.“
Wie viel verstehen denn die Deutschen vom französischen Wein, wie schwer ist es, hier Botschafter der französischen Weinkultur zu sein, will ich wissen. „Die Hamburger sind nicht an ein Weingebiet gebunden, sie probieren alles. Das ist im Bordeaux anders! Die Leute trinken da nur, was im Umkreis von drei Kilometern gewachsen ist. Wirklich, das ist Luxus pur!“ Er lacht und fügt hinzu: „Am Ende ist es aber einen Tick langweiliger.“ Seine Kunden, erzählt er mir, sind dabei meist sehr Frankreich-affin, sie suchen oft Weine, die sie aus dem Urlaub kennen. Und beim Weinkaufen wollen sie Spaß haben:
Ganz ehrlich, um einen Wein zu kaufen, brauchst du heute einen Klick im Internet. Wer zu mir kommt, nimmt sich Zeit. Und wir nutzen diese Zeit.
„Ich bin immer gut gelaunt und freundlich, das ist mir wichtig, die Leute sollen sich willkommen fühlen!“ Vorurteile gibt es durchaus auch, französischer Wein sei zu kräftig und zu trocken. Auch über diese Kunden freut sich der Überzeugungstäter Taris: „Wir haben so viele Regionen mit Weinanbaugebieten unterschiedlichster Reben, verschiedene Klimazonen, es ist unmöglich, bei französischem Wein nicht auf den eigenen Geschmack zu kommen.“
Gerade jungen Kunden bietet Taris zum Einstieg gerne drei Weine an, fruchtig, kräftig, weich, danach ist es für den Weinhändler einfacher, individuell zu beraten: „Wir sind alle unterschiedlich.“ Die Jugend ist auch besonders preisensibel, weiß Taris. Ihm zufolge gehört das Bordeaux mit einem Durchschnittsflaschenpreis von 5 bis 6 Euro zu den günstigsten Anbaugebieten der Welt: „Da gibt’s dann auch viel Mist. Und Weine unter 7 bis 7,50 Euro sind halt keine Winzer- sondern eben Genossenschaftsweine. Dann geht es aber schon mit den Weinen kleinere Winzer*innen los und zwischen 10-15 Euro finden wir überall eine super Qualität!“
Taris ist angekommen, er lebt hier und er lebt hier gerne. Und weil er als unabhängiger Weinhändler mit eigenem Ladengeschäft und Internetversand genug zu tun hat, schafft er es nur noch selten, seine Heimat zu besuchen.
Wenn Du viel zu tun hast, hast du keine Zeit für Heimweh.
Taris hat sich auf kleine, unabhängige oder eher unbekannte Weingüter und Lagen spezialisiert, er sucht und findet im Kleinen das Große. Sein Angebot ist handverlesen kuratiert, besondere Nischen-Weine, unentdeckte Schätze, Weine, die von Großhändlern leicht übersehen werden, weil es eventuell nur eine limitierte Anzahl an Flaschen zu verkaufen gibt: „Du findest zum Beispiel überall einen Sancerre, für einen Chablis brauchst du nicht zu mir zu kommen. Aber ein super Corbières Wein, der noch reifen darf, oder spezielle Weine aus dem Bergerac oder Périgord – das finde ich spannend!“
Mittlerweile importiert Taris 90 Prozent aller seiner Weine im Sortiment selbst. „Das war mir wichtig.“ Über die so romantische wie überholte Vorstellung, dass ein derart engagierter Weinverkäufer doch sicherlich die Hälfte des Jahres im klapprigen Citroen auf Schatzsuche Frankreich durchfahren müsste, freut sich der 33-Jährige, er gehört zur digitalen Generation: „Der Weinhändler, der 2020 noch ein halbes Jahr durch Frankreich fährt, hat entweder nichts zu tun oder ist reich. Ernsthaft, allein durch befreundete freie Winzer, die Freunde von der Uni und professionelle Weinmessen, finde ich die tollsten Weingüter. Das Internet ist umsonst, die Probeflaschen kommen so schnell und du kannst immer mit den Winzern telefonieren. Hinzu läuft viel über Mund-zu-Mund-Propaganda. In der Gastronomiebranche teilen wir unsere Passion, wir sprechen dauernd nur von Wein und Essen und wir sind alle gleich!“
Taris weiß auch, dass persönliche Begegnungen unersetzlich sind, gerade auch, wenn man Wein verkaufen und Weinkultur vermitteln möchte. Daher entwickelt er Ideen für Weinabende, die „Tour de France“ heißen oder „Französische Weißweine mit Garnelen“ und „Rotwein mit Pastete“, Die wenigen Plätze für die lehreichen Genussabende im kleinen Laden sind schnell reserviert, hier begeistert Taris sein wachsendes Stammpublikum mit seiner ihm eigenen Leidenschaft für sein Lebensthema.
Doch er möchte mehr Menschen mit seiner positiven Botschaft erreichen. Das Konzept der Gluglubox reift: Es handelt sich um eine neue Art von Wein-Abo, deren Name eine Verballhornung der französischen Lautmalerei glouglou = gluck-gluck darstellt. Jeden Monat bekommen die Abonnent*innen zwei Flaschen mit spannendem Wein von einem oder zwei französischen Winzer*innen. Dazu erscheint jeden Monat ein 2-minütiges Youtube-Video, in dem der Weinhändler die Weine erklärt, auf Trinktemperatur und Speise-Pairings eingeht. Und Axels Mutter schickt ein passendes Kochrezept, dass der Sohn übersetzt!
Was wie eine Corona-geborene Idee klingt, wurde schon viel früher geplant und organisiert. Mit einem charmanten Erklärvideo („… Wir haben für 30 Jahre Wein und ich habe eine Million Ideen!“) und 35 Boxen startet Taris im April 2020. Schon einen Tag später waren sie ausverkauft. „Drei Monate später hatte ich 150 interessierte Abonnenten. Mit 70 Mails und einem Post auf Facebook. Mein Ziel ist es, 300 Abonnenten zu gewinnen. Ich spreche nicht von Geld, das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist, gute Weine zu probieren und 300 Flaschen sind eine Palette – da haben wir dann ganz andere Möglichkeiten!“
Immer spielen Wein und Speisen eine Rolle bei den Verkostungen und Veranstaltungen. Für Taris ist beides untrennbar miteinander verbunden, denn der Weinhändler kocht auch gerne selbst: „Ich komme aus dem Bordeaux, dort trinkt niemand ein Glas, ohne etwas dazu zu essen. Wir genießen Wein nur bei Tisch.“ Taris stammt aus der französischen Mittelschicht, dort sind das gemeinsame Kochen, der Genuss, die Mahlzeit der Mittelpunkt, um den sich das familiäre und soziale Leben abspielt. Der große Unterschied zu Deutschland: „In Frankreich isst man auch gemeinsam mit den Freunden im Restaurant, dann geht man zusammen oder getrennt seiner Wege, in eine Disko oder Bar. In Deutschland essen alle getrennt und treffen sich dann in der Disko oder Bar. Das ist ein großer Unterschied.“
Egal was du trinkst: Der Wein schmeckt am besten nur im besten Moment mit der besten Person. Das ist so wahr.
Und dann gibt es noch einen entscheidenden Aspekt, wenn wir Wein wirklich genießen wollen. Taris erzählt die Geschichte des französischen Journalisten Jaques Dupont, der mal gefragt wurde, was seine schlimmste und beste Weinerfahrung gewesen sei. Er antwortete, der beste Wein, an den er sich erinnere, sei ein einfacher Tafelwein gewesen, den er mit einem Freund genoss, der leider früh verstarb. Die schrecklichste Flasche war ein 1982er Château Lafite Rothschild, die er mit einem Idioten trinken musste.
Poulet Basquaise und Rotwein zum Träumen
Die Frage nach seinem Lieblingsgericht beantwortet Taris ohne nachzudenken: „Poulet Basquaise!“ Das baskische Huhn wird mit roten und grünen Paprikastreifen (den Farben des Baskenlandes), Weißwein, Bouquet-garni-Kräutersträußchen (z. B. Thymian, Lorbeer, Petersilie …), Tomatenragout, Zwiebeln und Knoblauch in der Kokotte geschmort. Dazu empfiehlt der Weinhändler einen Rotwein aus dem Graves, ein Cuvée aus Merlot und Cabernet Sauvignon: Der Wein Château Haut Reys Cuvée Paumarel der Winzer Isabelle und Grégoire Gabin ist benannt nach ihren drei Kindern: Paul, Marine und Eloïse. Er ist ein Vergnügen im Glas und zum Huhn, er ruft Erinnerungen an Kirsche und schwarze Johannisbeere in der Nase und auf dem Gaumen hervor, da schimmert ein bisschen Holz und ein Hauch Vanille durch.
Zum Schluss möchte ich noch wissen, von welchem Wein der Weinhändler Axel Taris nachts träumt? Wieder muss er nicht lange nachdenken: „Mein Traum wäre ein Château Tertre Roteboeuf 2005 (Grand Cru Saint-Émilion). Ein Freund hat mir mal einen 1987er zum Geburtstag geschenkt, ich bin 1987 geboren. Ein schreckliches Weinjahr übrigens. Aber dieser Wein! Ich bin ein Groupie!“
Unser Gespräch findet in Taris kurzem Sommerurlaub statt, doch Ruhe und Rast sind nicht so sein Ding: Im Herbst zieht „Der Franzose“ um, das Maison Taris findet sich dann 400 Meter von der jetzigen Adresse entfernt in der Heidlohstrasse 1. Dort oder online freut sich Axel Taris jetzt schon auf unseren nächsten Besuch.
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