Herr Arens und das große Backen – was Du von der französischen Pâtisserie lernen kannst
Mitten im Lockdown beschließen die Kölner Food-Photographin Jennifer Braun und der frankophile Journalist Johannes Arens ein Backbuch zur französischen Patisserie zu produzieren, finanziert durch Crowdfunding. Der Plan ist gewagt. Das große Backen beginnt.
Wir winken uns über die Bildschirme zu, immer noch Lockdown. Das war auch schon so, als Jennifer Braun und Johannes Arens die Idee zum gemeinsamen Buch La France en Pâtisserie hatten. Autor Arens ist oft im Saarland bei der Oma in Ferien, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Frankreich. Seine Großmutter weckte seine Leidenschaft für die französische Küche. Beim üblichen Schüleraustausch zur Festigung der deutsch-französischen Freundschaft, knüpfte er schon als Jugendlicher Bande, die bis heute halten. Seit vielen Jahren bereist der Ethnologe und Foodblogger regelmäßig Frankreich.
Auf der letzten Tour vor Corona ersteht er in einer Buchhandlung in Montpellier das Standardwerk der französischen Backkunst Le grand manule du boulanger. Während des Lockdowns entdeckt Johannes Arens mit diesem Buch nicht nur die Freude am Backen, er genießt die Freiheit, jetzt mit mehr freier Zeit auch Projekte jenseits jeder Wirtschaftlichkeit anzugehen: einfach, weil man Lust dazu hat! Er beschließt, diese Zeit zu nutzen. Auf seinem Blog will er von Frankreich erzählen und sich dafür zu Hause einmal quer durchs Land backen.
Auch Tim Mälzer weiß: Backen ist nicht Kochen!
Ich kenne Johannes Arens von gemeinsamen Foodblogger-Events und Cooktanks, wir sind beide begeisterte Köche und lieben den Flow in der Küche, das kreative Chaos. „Schlampig-charmant“ ist sein Küchenmotto. Backen ist etwas völlig anderes, da ist Präzision gefragt. Oder wie Tim Mälzer immer sagt: „Backen ist NICHT kochen!“. Zudem ist die französische Pâtisserie ein Nationalheiligtum, berühmt für anspruchsvolle Vielfalt und detailreiche Rezepte. Als attestierter Back-Angsthase hake ich nach. Arens winkt ab: „Wenn ich das schaffe, können andere Leute das auch schaffen!“
Von Gebäck zu Gebäck quer durch Frankreich
Er backt sich also motiviert durch Frankreichs süße Tradition – und irgendwann ist das Projekt größer als ein paar Blogeinträge. Das findet auch Fotografin Jennifer Braun, beide kenn sich von vorausgegangen Projekten. Sie fotografiert besonders gerne Food-Themen und auch sie liebt Frankreich. So oft sie kann, besucht sie das legendäre Festival Les Rencontres De La Photographie in Arles. Seit 1969 gibt es „die Oscars der Fotografie“, das Festival hat internationales Renommee. Im Spätsommer und bis in den Herbst hinein ist die Stadt eine begehbare Fotoausstellung. In Häusern, Kirchen und Hallen, in Museen und Galerien findet sich die ganze große Welt der zeitgenössischen Photographie. Arles selbst, diese alte, junge, bunte und freundliche Stadt, ist ohnehin jede Reise wert!
Moderne Ästhetik für traditionelle Pâtisserie
Doch zurück nach Köln – dort schmecken Arens süße Kunststückchen auch Jennifer Braun, sie beschließen, ein Backbuch zu machen. Gemeinsam entwickeln beide eine eigene kunstvolle Bildsprache, geprägt von Werbe-Motiven der 1970er-Jahre, dabei modern und von formaler Strenge. Pastell-feine Farben und brillante Schärfe rahmen die geometrischen Kompositionen aus Gebäckstücken, Pflanzen und Früchten. Auch das großformatige Bild einer bereits geplünderte Kuchentafel ist dabei, eines meiner Lieblingsmotive. Braun erzählt: „Wenn man viel für Kunden arbeitet, hat man immer auch den Kunden im Kopf und schränkt sich selber ein. Wir wollten hier eine andere Ästhetik als das, was man sich bei Pâtisserie so vorstellt.“
Es braucht ein Dorf
Die Rezepte begleiten Arens gesammelten Reise-Impressionen und launigen Geschichten. Beim Lesen ist Frankreich, die Menschen, das Land und die Kultur ganz nahe und persönlich. Viel Rezepte stammen unmittelbar von Pâtissiers und Pâtissières aus der Region. Monika Fritsch vom Tourismusverband Atout France hilft bei der Vermittlung. Eines der ersten Rezepte für das Buch, das Mandelgebäck Macarons d’Amines, spendiert Chocolatier Jean Alexandre Trogneux aus Amiens, der dort die gleichnamige Pâtisserie in fünfter Generation führt. Noch berühmter ist nur die Tante des Meister-Zuckerbäckers: Jean Trogneux ist der Neffe von Brigitte Macron, geborene Trogneux – der Première Dame Frankreichs!
Das Projekt wächst nicht nur an Rezepten, Hintergrundwissen und Geschichten, immer mehr MitstreiterInnen helfen, allen voran Monika Koch vom büro G29, die als Kommunikationsdesignerin das grafische Konzept fürs Buch erarbeitet und umsetzt. Gastautorinnen wie Julia Floß, ehemalige Pâtissière der legendären Köhlerstuben in Baiersbronn, bereichern das Buch mit ihrem Wissen und die junge Konditormeistern Rosa Roderigo verrät Tricks und Alternativen für eine rein pflanzliche Bäckerei.
Es braucht ein Dorf, um ein Kochbuch zu machen! Und so reift die Entscheidung, unabhängig zu bleiben. Ein Crowdfunding für La France en Pâtisserie ist erfolgreich – 750 Exemplare des einzigartigen Buches konnten gedruckt werden. Hier kannst Du Dir eine Leseproben-pdf runterladen und auf zwischengang.de kannst Du das Buch auch erwerben.
Von der Pâtisserie fürs Leben lernen
Die Erkenntnisse, die die Beschäftigung mit der französischen Pâtisserie mit sich bringen, kann man nicht kaufen. Arens erklärt das folgendermaßen: „Der Umgang mit Zeit ist ein anderer. Die meisten Rezepte beginnen damit, dass Du einen Teig machst – und der kommt dann erstmal über Nacht in den Kühlschrank. Und auch die Backzeiten sind anders, länger und milder. Da machst Du nicht einfach schnell, schnell ein Gebäck. Backen ist eine nationale Aufgabe.“ Auch Konzentration und Genauigkeit sind gefragt: „Backen kann man lernen, wenn man sich wirklich konsequent und diszipliniert an die Vorgaben hält.“ So gerät das Backen auch zur meditativen Übung in Geduld und Fokussierung – und die Belohnung ist süß!
Am Ende unseres Zoom-Calls habe darum sogar ich, der Back-Phobiker, plötzlich Lust zu backen. Der Lockdown dauert ja noch ein bisschen …
Mehr über die französische Pâtisserie erfährst Du im Text über meinen Besuch beim französischen Meister-Pâtissier in Hamburg: „Der lange Weg des Monsieur Ouvrard“
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