Besuch beim französischen Meister-Pâtissier in Hamburg
Das Hamburger Schmuddelwetter lasse ich einfach draußen stehen und freue mich auf die süßen Seiten Frankreichs. Wie das hier duftet! Hinter der langen Schautheke von „Die Pâtisserie“ in Ottensen drängeln sich die Klassiker der französischen Konditoren-Kunst hinter Glas: elegant verzierte Petit Fours, bunte Macarons und Tartelettes mit Blaubeeren und Himbeeren. Akkurat aufgereiht locken süße Tartes „en miniature“ mit fruchtig-frischer Zitronenfüllung, mit Valrhona-Schokolade und Karamel.
Dunkel glänzen zarte Éclair au Café, gefüllt mit samtiger Mousse. Unter gläsernen Cloches stapeln sich wolkenweiche Madeleines, neben den berühmten Cannelés de Bordeaux: saftige Ofenküchlein, die, in der klassischen Kupferform gebacken, eine knusprige Karamelkruste entwickelt haben. Pierre Ouvrard nickt zufrieden, jedes einzelne Stück ist Handwerk und Handarbeit, vom Chef persönlich streng kontrolliert, der Meisterkonditor ist Perfektionist. Ouvrard ist auch Bäcker, jeden Morgen steht er spätestes um 5 Uhr in der Backstube, am Wochenende noch früher. Ab 7.30 Uhr gibt es frische Brötchen zum Kaffee und warmes Gebäck, ein Pain au chocolat, Pain aux raisins vielleicht oder den Mandelzopf Tresse aux amandes, gefüllt mit hausgemachter Crème pâtissière.
Die Kunden lieben Ouvrards Baguettes aus reinem Naturmehl von französischen Mühlen, nur damit gelingen die Baguette „La Tradi“, da ist sich Ouvrard sicher. Der Teig ist gereift, das luftige Stangenbrot immer knusprig und ofenfrisch. Berühmt sind auch seine Croissant beurre, die kommen hier luftig, knisternd auf den Tisch. Auffällig ist die Form: Die Croissants sind gradlinig, nicht wie anderswo üblich von gebogener Hörnchen-Form. Die sind nämlich in Frankreich mit Margarine hergestellt, während ein Croissant, dass den Rücken gerade macht, ein buttriges Vergnügen darstellt. Basis ist ein Hefeteig, der wie Blätterteig weiterverarbeitet wird. Aus dem formt der Konditor auch seine eigene Version des Hamburger Franzbrötchens – in der Bretagne "Kouign amann" genannt, ist „La perle“ nach der Hamburger Hymne „Hamburg meine Perle“ von Lotto King Karl benannt: ein Rundstück aus Croissant-Teig mit Zimt, Zucker und Butter gefertigt.
Pierre Ouvrard steht hinter dem Tresen, sein Blick schweift versonnen über die Auslagen und es sieht aus, als könne er das alles selbst nicht glauben. Und genau das sagt er dann auch:
Bis heute nehme ich hier nichts als gegeben, für mich ist das alles immer noch extraordinaire!
Denn es war ein langer Weg zur Meisterschaft als artisan pâtissier mit eigener Backstube, Café und 15 Angestellten. Ouvrard stammt aus Paris, er erinnert sich gerne an seine Kindheit im Café-Bistro der Familie. Früh hilft er nach der Schule aus. Wenn die Großmutter sich nach dem Mittagsgeschäft kurz auf der Chaiselongue ausruht, sieht der kleine Pierre nach den Gästen. Ansonsten langweilt die Schule den energiegeladenen Jungen, der Vater empfiehlt den Schritt in die Gastronomie, irgendwie liegt das auf der Hand. Doch es ist nicht einfach. In der praktischen Aufnahmeprüfung an der Fachschule zeigt der junge Mann sich als begabter Handwerker mit einem pointierten Sinn für Aromen und Geschmäcker, alleine das Lernen fällt schwer.
Er ist 16 Jahre alt, als er eine Anstellung als „petit garçon“ in der renommierten Brasserie Bofinger (seit 1864) antritt, mit 350 Plätzen. Allein der Art Déco-Saal ist schon beeindruckend! Der jungen Ouvrard ist dort „Mädchen für alles“, er hilft beim mise en place und arbeitet vor allem im Service. Das ändert sich auch nicht auf den folgenden Stationen, dem geschichtsträchtigen Restaurant Lapérouse und dem legendären Hotel Plaza Athénée. Dort arbeitet er noch ein Jahr als Kellner in der Brasserie, einen Tag in der Woche hat er frei und verdient kaum genug Geld, um die neue Freundin auszuführen. Er ist unzufrieden und beginnt auf Vermittlung eine Anstellung in der Druckerei der Tageszeitung Le Figaro. Umgehend verdient er das Dreifache. Zwanzig Jahre bleibt er.
Es ist, wie sich später herausstellen sollte, ein Glück für Hamburg, dass die globale Finanzkrise von 1999 auch die Pariser Verlagshäuser erfasst: Ouvrard wird mit einer Abfindung auf unbestimmte Zeit freigestellt. Erstmals besucht er die Hansestadt an der Elbe und verliebt sich dort in die Hamburgerin Nissa Groening. Das Paar träumt davon, eine Crêperie zu eröffnen, gleichzeitig wartet Ouvrard noch auf die in Aussicht gestellte Wiedereinstellung der Zeitung. In dieser Zeit entflammt erneut auch seine Liebe zur Patisserie: Er beginnt eine Ausbildung an der renommierten Pariser Fachschule École Grégoire Férrandie. Frankreichs führende kulinarische Berufsschule gilt als Kaderschmiede der Zünfte. Eine Fortbildung zum Bäcker hängt Ouvrard direkt auch noch dran, vertieft sein Wissen an der École Bellouet Conseil von Jean-Michel Perruchon, einer Privatschule von Weltruf. Sein erstes Praktikum im neuen Beruf bringt ihn zu Star-Patissier Laurent Duchêne, ausgezeichnet als M.O.F., Meilleur Ouvrier de France, bester Handwerker Frankreichs:
Ich hatte das große Glück, bei gleich drei großen Meistern lernen zu dürfen. Und bei Duchêne sah ich die Zukunft der Patisserie, hier entstehen die Desserts von morgen.
In den sechs Monaten bei Duchêne lernt Ouvrard auch, was die französische Patisserie auszeichnet: „Die waren irre schnell, sauber, die absolute Präzision! Brillante Handwerker, echte Künstler, dabei ganz normale, bodenständige Leute.“ Er lacht:
Die ganze Zeit dachte ich: Ich bin eine Null!
Tatsächlich ist er aber aufgenommen in die große, stolze und eng verbundene Gemeinschaft französischer Patissiers. Eine Verbindung, die bis heute verlässlich andauert. Man ist füreinander da, tauscht sich aus: „In Frankreich arbeitet man insgesamt handwerklicher, es hat sich über Generationen ein systeme extraordinaire entwickelt, eine Gemeinschaft, die ihre ‚Geheimnisse’ teilt. In Deutschland hat sich eine sehr moderne Patisserie entwickelt, man bleibt da aber stark für sich, Rezepte werden gehütet. In Frankreich sagen wir:
Das Rezept muss leben, es darf sich aber auch weiter entwickeln.
Auch in Deutschland entwickeln sich die Dinge anschließend für Ouvrard. Er ist mittlerweile Vater zweier Kinder und arbeitet hart in den Räumen eines Hamburger Cateringunternehmens, in dem er einen 30 qm großen Raum angemietet hat. Hier produziert er Gebäck und Schaustücke, aber auch Petit Fours und Patisserie fin für Veranstaltungen und Wochenmärkte. Bei den Fußballspielen seines Sohnes lernt er einen anderen Fußball-Vater kennen: Es ist Vijay Sapre, Herausgeber des Effilee-Magazins. Im Herbst 2013 erscheint dort ein mehrseitiger Artikel über die Patisserie-Kunst mit Rezepten von Ouvrard, der damit über Nacht berühmt wird – freilich im Sinne der Lebensweisheit: Wer über Nacht berühmt wird, hat tagsüber hart gearbeitet. Gastronomen und Sterneköche wie Christoph Rüffer (Haerlin, Hotel 4 Jahreszeiten) interessieren sich für den Patissier aus Ottensen und auch die Hamburger selbst werden aufmerksam. Der eigene Laden lässt dennoch auf sich warten, zwei Jahre dauert die Suche an. Am Valentinstag 2015 eröffnen Pierre Ouvrard und seine Lebensgefährtin Nissa Groening „Die Pâttiserie“ in der Bahrenfelder Straße 231. Seitdem ist eigentlich immer Hochbetrieb:
Ich kann den Menschen Freude schenken, das ist fantastique. Und ich liebe es, zu sehen, wie ihre Augen größer werden, nach dem ersten Biss in mein Gebäck!
Monsieur Ouvrard lächelt: „Dafür machen wir das.“
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