In jeder Hand einen Apfel, steigt mir das Rot in die Wangen und ich könnte gleich in der Stiege mit den ebenso rotbackigen Apfel-Geschwistern neben den Reinette Platz nehmen.
„Euh, nein, Entschuldigung!“ Die beiden Reinette wandern in den Korb, zwei weitere dazu.
„Ich war wohl gerade etwas abgelenkt. Im Apfelland sozusagen.“
„Apfelland?“ Größer könnten die Fragezeichen nicht sein, die dem Marktverkäufer zwischen seinen zehn Apfelsorten aus den Augen fallen.
Gerade sind alle Apfelkuchen-Geschichten aufgetaucht und haben ihre eigene Reiseroute durch meine Erinnerungen angetreten.
Jeden Samstag kroch der mild-säuerliche Geruch von frischem Hefeteig durch die Ritzen der Küchentür im alten Bauernhaus meiner Urgroßmutter. Apfelschnitze sanken tief ins Teigbett auf dem Kuchenblech und wurden fürsorglich mit den dicksten Butterstreuseln bedeckt. Der Teig war immer ein bisschen dicker als bei anderen, weil mein Urgroßvater das so sehr liebte. Und mein Stück war immer das, wo die buttrigsten Streusel lagen. Urgroßmutter schlug die Sahne noch von Hand auf und zu jedem Küchenstück gab es mindestens zwei Löffel. Dafür musste der Löffel vom Salatbesteck herhalten.
Später dann, als ich mit meinen Freundinnen Katrin und Cornelia die Freistunden in der Schule lieber im einzigen Café der Stadt als in der Bibliothek zubrachte, wir mehrere Liter Kaffee tranken, total erwachsen rauchten und schlau unsere Jungs-Weisheiten in die Welt brachten, gab es immer Apfelstrudel. Wenn die ersten Bissen der köstlich-warmen, zimtzuckrigen Äpfel im krachenden Strudelteig nach innen gewandert waren, konnten die geheimen Geschichten nach draußen. Das war unser Mutmacher und das vermochte nur der Apfelstrudel aus genau diesem Café.
Erstaunlich, dass sich dann viele Jahre eine Apfelkuchen-Durststrecke durch meine kulinarische Landkarte wand und erst mit dem Kennlern-Besuch bei meinen heutigen Schwiegereltern beendet wurde. Meine Schwiegermutter servierte, neben ihren hohen Erwartungen an mich und meine Koch-und Backkünste, auch ihre unfassbar köstliche Apfeltorte. Auf einem fluffigen Boden fanden geriebene Äpfel ihren Platz, darauf eine ebenso opulente wie turmhohe Schicht Schlagsahne. Die Krönung war der Eierlikör, der sich obenauf, wie ein kleines Flüsschen durch’s Tal, über die Torte schlängelte. Mon dieu, was musste ich tapfer sein. Ich habe immer gern gegessen, aber das war auch für mich Sport. Als sie starb hoffte ich auf all die kleinen fettigen Zettel mit ihren Rezepten, die neben Backpulverspuren, rieselnden Resten von Vanillezucker und Erinnerungen, auch einen Hauch von Melancholie aufgesogen hatten und die etwas nachlässig mit einem Gummi zusammengehalten wurden. Ich hüte sie heute wie einen Schatz und blättere darin, wenn ich es heimelig brauche.
Und dann kam Frankreich und die Tarte Tatin. Als hätten alle Erzählungen nur darauf gewartet, endlich miteinander verwoben zu werden. Was ist das auch für eine wundervolle Küchen-Malheur-Geschichte, die uns zeigt, dass es doch manchmal viel besser ist, etwas verkehrt herum zu tun. Wie sonst könnten sich noch heute so viele Genießer*innen an dieser herrlichen dicken Schicht karamellisierter Äpfel in Butter gebacken auf Mürbeteig, der in Frankreich Pâte brisée heißt, erfreuen?
„Mögen Sie Apfelkuchen?“ Ich schaue mein Gegenüber an, der mir in der Zwischenzeit neben den Reinette-Äpfeln auch noch einige von den Rotbackigen in den Bastkorb gelegt hat.
„Ja, natürlich! Aber sehr klassisch.“ Er grinst ein bisschen schief und zieht die Schultern nach oben.
„Tarte Tatin?“ frage ich.
Er grinst noch ein bisschen schiefer und tatsächlich werden auch seine Wangen ein bisschen rot. Er nickt.
„Und ihr Lieblingskuchen? Auch ganz klassisch? Apfelstrudel? Den isst man doch in Deutschland, oder?“ Wie er Strudel ausspricht, dafür könnte ich ihn in den Arm nehmen.
„Hm, ja, genauso wie mit Hefeteig und Mürbeteig. In Deutschland wird noch immer gern Blechkuchen gegessen, da braucht es einen guten Boden. Der Strudel kam aus Österreich zu uns. Aber Sie bringen mich auf eine Idee!“
Neugier ruft sein ganz Gesicht.
„Und, ist es eine Rezeptidee? Hat was mit Äpfel zu tun, oder?!“
Genau. Zurück zu Hause wird es einen Apfelkuchen geben, mit dem, was sich so wunderbar aus beiden Welten verbinden lässt. Die Reinette werden zuerst in Armagnac baden, dann mit Zucker karamellisieren, in Butter geschwenkt und dann im Hefeteig verschwinden.
„Und ganz oben ein Hauch von Mandeln und Aprikosenkonfitüre.“
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