Wildkräuter und Trüffel – Unsere heimischen Exoten

Par Nikolai Wojtko

Jean-Marie Dumaine, Spitzenkoch, Trüffelexperte und Wildkräuterpionier

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Jean-Marie Dumaine, 1954 in der Normandie geboren, zieht es nach absolvierter Kochausbildung an den Rhein. Hier arbeitet er zunächst in Andernach, bevor er sich seinen Traum erfüllt. 1979 eröffnet er sein eigenes Restaurant, das „Vieux Sinzig“ in Sinzig. Ein Glücksfall für alle, die sich in den nun kommenden Jahren von seiner Küche begeistern lassen. Denn in seinem Restaurant etabliert er zunächst klassische Gerichte der französischen Küche. Dann entdeckt er die Vielfalt der hier vorzufindenden Wildkräuter und Wildpflanzen. Und wie kein anderer Koch versteht er es, die Essenz dieser Landschaft an Rhein, Ahr und Eifel kulinarisch zum Ausdruck zu bringen. Der Gastraum seines Restaurants gibt den Blick auf den hauseigenen Wildkräutergarten frei.

Nikolai Wojtko:
„Jean-Marie, was hat dich an den Rhein verschlagen?“

Jean-Marie Dumaine:
„Die Idee kam mir, während meiner Ausbildung zum Koch. Ich bekam damals das Buch „Der Rhein“ von Victor Hugo in die Hände. Nach der Lektüre fasste ich den Entschluss, einmal in meinem Leben für ein paar Jahre an den Rhein zu ziehen, um hier neue Erfahrungen als Koch zu sammeln.“

 

NW:
„Das war 1975.“

JMD:
„Ja und damals hätte ich mir nicht gedacht, dass ich in Deutschland bleiben würde. Aber für mich war Sinzig ein Glücksfall. Hier, wo die Ahr in den Rhein mündet gibt es eine großartige Weinkultur und hier finde ich zahlreiche Wildkräuter für meine Küche.“

 

NW:
„Du bist Franzose, aber – wie du immer wieder betonst – in erster Linie Normanne. Zieht es dich nicht zurück in deine Heimat?“

JMD:
„Gemeinsam mit meiner Frau Colette fahre ich so oft ich kann in die Normandie. Aber meine Kinder und Enkelkinder sind hier geboren. Wir haben hier eine zweite Heimat gefunden und über die Jahre sind wir zu normannischen Rheinländern geworden.“

 

NW:
„Zuerst hast du als Koch in Andernach gearbeitet, wie ging es dann weiter?“

JMD:
„1979 bekamen wir die Chance ein Restaurant zu übernehmen. Es liegt hier direkt auf der anderen Straßenseite. Es hieß „Alt-Sinzig“. Wir haben damals einfach die Speisekarte übernommen, denn wir wollten die Stammgäste auf keinen Fall verprellen. Dann haben wir allmählich ein paar französische Gerichte aufgenommen und aus dem Toast Hawaii wurde ein Toast Normande. Dann fragten die Gäste gezielt nach Gerichten, die sie in Frankreich probiert und in bester Erinnerung hatten. Also kamen Gerichte wie Bouillabaisse, Poularde à la Normande und Bœuef Bourguignon auf die Karte und der Name des Restaurants änderten wir. Aus „Alt-Sinzig“ wurde „Vieux-Sinzig“.“

NW:
„Du hast dir als Wildkräuterpionier einen Namen gemacht. Wie kam es dazu?“

JMD:
„Ende der 80er Jahre lernte ich Frau Dr. Klemm kennen. Sie wurde meine „Kräutermutter“. Sie organisierte Kräuterwanderungen unter dem Motto: „Essbare Wildpflanzen – Delikatessen am Wegesrand“. Ich hatte mich schon vorher für das Thema Wildpflanzen interessiert, denn mein französischer Kollege Michel Bras hatte sich mit seiner Wildkräuterküche in der Auvergne einen Namen gemacht. Und da die Auvergne eine mit der Eifel vergleichbare Botanik aufweist, wollte ich gerne die hier wachsenden kulinarischen Exoten für meine Küche entdecken.“

 

NW:
„Kulinarische Exoten, was verstehst du unter diesem Begriff?“

JMD:
„Damals galten Kräuter, auch alle Wildkräuter als Kaninchenfutter. Man maß ihnen keinen kulinarischen Wert bei. So wurden diese Kräuter zu Exoten, obwohl sie alle hier vor der Haustür wachsen. Ich wollte ihre geschmackliche Vielfalt entdecken und durch meine Küche zur Entfaltung bringen. Unsere Gäste sind bis heute davon begeistert.“

 Terroir ist ja nicht nur auf Wein begrenzt.

NW:
„Du hast also damals schon den Gedanken gehabt, die Landschaft schmeckbar werden zu lassen?“

JMD:
„Ja, das ist auch gar nicht so weit hergeholt. Ich bekomme hier von den Jägern das Wild aus den umliegenden Wäldern, von Bauern aus der Gegend beziehe ich mein Gemüse, warum sollte ich also nicht auch die Kräuter dieser wunderbaren Region in meine Küche integrieren? Terroir ist ja nicht nur auf Wein begrenzt.“

 

NW:
„Aber die Welt der Wildkräuter eröffnet sich einem ja nicht über Nacht. Wie hast du dich zum Experten entwickelt?“

JMD:
„Auf keinen Fall wollte ich Fehler machen. Denn wenn du in einem Restaurant Wildkräuter anbietest, soll es nicht nur gut schmecken, es muss vor allen Dingen unbedenklich sein. Am Anfang habe ich mich stets bei Frau Dr. Klemm rückversichert. Daneben habe ich mich in der Küche von Michel Bras weiter geschult. Auf seine Empfehlung hin lernte ich François Couplan, einen Wildkräuterexperten kennen. Ich lud ihn ein, nach Sinzig zu kommen, um hier Wildkräuterwanderungen durchzuführen. Daraus entstand die Idee zu einem gemeinsamen Buchprojekt. In unserem Buch konnte ich meine ersten Wildkräuterrezepte präsentieren. Das gab mir Sicherheit und ich habe meine Sammelleidenschaft auch auf Wildpflanzen ausgeweitet.“

NW:
„Wie hast du deine kulinarischen Ideen entwickelt?“

JMD:
„Denke an Mispeln. Kein Mensch verwendete sie damals in der Küche. Aber Mispelmus ist eine wunderbare Beilage zu Wild- oder Fleischgerichten. Als die Currywurst ihren 50. Geburtstag feierte, habe ich unseren Mispelketchup entwickelt. Der wurde dann in Berlin mit dicken französischen Fritten präsentiert. Die Currywurst bereiteten wir aus einer Putenfüllung mit Steinpilzen zu. Der Mispelketchup aus unserer Gourmet-Manufaktur erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit.“

 So trifft die Klassik der französischen Küche auf den Geschmack der Wildkräuter.

NW:
„Und dennoch sind ja Wildpflanzen wie auch Wildkräuter für deine Gäste zunächst Exoten. Wie schaffst du es, sie in deine Gerichte nicht nur passend zu integrieren, sondern sie zu geschmacklichen Stars zu machen?“

JMD:
„Es sind einfache Überlegungen, die sich an der Natur orientieren. Lass es mich an zwei Beispielen beschreiben. Wildschweine essen gerne Schlehen, sie sind verrückt nach ihnen, obwohl die Büsche dornig sind. Also verarbeite ich die Schlehen zu Eifeloliven und serviere sie zu Wildschwein. Oder nehmen wir Mädesüß. Das Wildkraut wächst im Wasser und hat einen leichten Mandelgeschmack. Es passt hervorragend zu Forellen, die man dann nicht mit in Butter gerösteten Mandeln, sondern mit Mädesüß zubereitet. Voilà, so trifft die Klassik der französischen Küche auf den Geschmack der Wildkräuter. Aber auch im Dessertbereich harmoniert Mädesüß wunderbar mit weißer Schokolade und roten Früchten.“

NW:
„Sehr wahrscheinlich war es nur folgerichtig, dass du bei deinen Kräuterwanderungen früher oder später auch auf Trüffel gestoßen bist?“

JMD:
„Das war damals eine Sensation. Trüffel im Ahrtal! Keiner wusste davon, auch Trüffel sind heimische Exoten. Um das Wissen der Trüffel zu verbreiten, richten wir jedes Jahr ein Trüffelsymposium mit internationalen Referenten aus.“

 

NW:
„Welches Kraut kann man als Anfänger leicht erkennen?“

JMD:
„Waldlakritz. Umgangssprachlich wird es so genannt, da der Geschmack der Wurzeln an Lakritz erinnert. Das Farn weist Tupfen an den Blättern auf, die zu seinem Namen geführt haben: Tüpfelfarn. Es wächst hier an der Ahr an fast jeder Ecke. Aus den Wurzeln bereiten wir eine aromatische Waldlakritzsauce. Sie harmoniert hervorragend zu grünem Spargel, aber auch zu gebratener Entenbrust.“

 

Link zum Restaurant: https://www.vieux-sinzig.com
Link zum Onlineshop: https://shop.vieux-sinzig.com

 

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Nikolai Wojtko
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